
In Singapur angekommen empfaengt uns tatsaechlich eine sehr geordnete Welt. Im Skytrain werden wir auf die “Gap between train and platform” hingewiesen, die wir erst nach laengerem Suchen finden (sie ist ganze 8 mm breit!) und in der MRT (U- und S-Bahn) wird uns ein Angst einfloessender Propagandafilm ueber Bombenanschlaege und verlassene Taschen in Zuegen aufgedraengt. Nach einer Viertel Stunde fangen wir auch an, uns aengstlich nach verdaechtig ausschauenden Menschen mit noch verdaechtiger aussehenden Gepaeckstuecken umzusehen. Wie muss es in den Singapuris zugehen, wenn wir nach so einer kurzen Zeit bereits von den Faengen des Staates eingenommen warden? (ich uebertreibe natuerlich…Aber in jedem Scherz ist auch ein wahrer Kern, nicht wahr?!:))

Und ab hier darf Marie weiter berichten. Denn so wie andere das absolute Gehoer in die Wiege gelegt bekommen haben, hat sie das absolute Erzaehltalent. Und noch dazu ist ihre Erzaehlung authentisch und ich kann mich ihren Meinungsbekundungen nur anschliessen. :) Na gut, dass sie so schoen erzaehlen kann, koennte auch daran liegen, dass die bald promovierte Germanistin sein wird, aber das ignorieren wir einfach mal. Ganz nebenbei: Im September geht sie fuer das Goethe Institut nach Astana. Und wer nicht weiss, wo das ist: das ist die Hauptstadt von Kasachstan. Um es mal sehr un-intellektuell auszudruecken: krasse Sache!
Danke, liebe Marie, fuers Kopieren duerfen!
Ich schwitze (der 1. Tag)
Meine Lieben, unser erstes Frühstück auf dem Balkon. Bzw. meines, denn Jenny und den anderen ist es draußen zu warm. Gestern abend haben wir im 70. Stockwerk eines Hotelhochhauses einen Cocktail geschlürft, aus Gläsern wie in "Sex an the City". Bis halb drei morgens waren wir auf den Beinen - wenn man 40 Stunden unterwegs ist, macht die 41. auch nichts mehr. Heute starten wir unser Touriprogramm, das Jenny ausgearbeitet und wahrscheinlich heillos überfrachtet hat. Auf gehts!
One night in Singapore (der 2. Tag)
Liebe Europäer. In einer orangefarbenen Plastikschüssel in unserem Badezimmer befindet sich momentan eine lebende Kakerlake. Wir hoffen, daß sie bis morgen früh tot sein wird. Wenn man sie zertritt, versprüht sie während des Sterbens ihre Eier, und man wird sie nie wieder los. Eigentlich verbietet sich eine einfache Tagesbeschreibung, aber angesichts unseres straffen Programmes wird es nicht anders gehen. Zunächst: Die Jenny ist schon fast drei Monaten hier und weiß auf viele meiner Fragen keine Antwort. Zum Beispiel, wie die jungen Singapuris ihr Studium finanzieren. Oder wie das mit dem O***sex ist. Prostitution ist legal, O* aber, auch innerhalb der Ehe, illegal - aber was ist mit O* mit einer und einem Prostituierten? Das weiß sie nicht! Dafür kennt sie tolle Orte. Sie läuft in Gassen und um Ecken und über Straßen und über eine Brücke, und man weiß, das man den Weg, den man gerade gegangen ist, nicht zurückfinden würde. Die Jenny dagegen weiß, daß sich an einer bestimmten Stelle in unmittelbarer Nähe drei Tempel von drei unterschiedlichen Religionen befinden. Die Hinduisten waschen sich nach dem Besuch ihres Tempels die Füße - diese Religion gefällt mir besonders gut. Ansonsten wissen wir, wie wenig wir eigentlich wissen, wie wenig haften geblieben ist vom Ethikunterricht :-) Dann
gibt es natürlich solche Jenny-Aktionen. Nach dem Besuch einer kitschigen chinesischen Figurengartenanlage, die der Bruder des Erfinders des Tigerbalsams dem Erfinder des Tigerbalsams geschenkt hat, und an der ich beobachten und fototgrafieren konnte, wie süße Wasserschildkröten einen toten Fisch aufessen, fuhren wir mit dem Bus in die "Snow City". Mitten in Singapur! In einer Halle! Eine Schneepiste! Wir, die wir die "Russenkälte" (Wortschöpfung des Prekariatsfernsehens) in Warschau erlebt haben, können sich gar nicht vorstellen, daß die Singapuris in ihrer Heimat noch nie Schnee gesehen haben. In dicke Jacken und warme Schuhe eingapackt, verfrachteten wir fünf unsere Pöpser in einen Gummiring und ließen uns viermal für die Dauer von ungefähr sieben Sekunden die Schneepiste runterkullern. Danach war es uns zu kalt und wir hatten alle Schnee im Schlüpfer :-) Unser Problem hier ist, daß wir fünf sind und so nicht in ein normales Taxi passen. Wenn wir es trotzdem versuchen, sagen die Taxifahrer nur: "It´s a law!" Ich frage mich, wie oft das in dieser Stadt täglich gesagt wird. Für unsere nächste Station orderte Jenny ein Großraumtaxi -
Wir betraten den zweiteinzigen Primärwald (nicht künstlich angelegt) der Welt, der in einer Großstadt liegt. Über eine sehr tolle Hängebrücke durchquerten wir die Baumwipfel. Die Bäume sehen aus wie unsere Zimmerpflanzen, aber in der Relation von "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft." Wir sind eine und eine halbe Stunde ordentlich marschiert ("female soldiers" nennt uns Tine), und die Jenny geriet ganz schön aus der Puste. Ich dagegen habe mich die ganze Zeit angeregt mit Laura unterhalten (Maschinenbauerin, Bratschistin und sprachbegabt! Wo gibts denn sowas!), und hatte das Gefühl, daß das Anstregungsschwitzen gar nicht mehr stört, denn es gesellt sich zum Rumstehschwitzen und zum Entspanntlaufenschwitzen und überhaupt zum Lebensschwitzen. Zum ersten Mal hatten Jenny und ich, als wir wieder trocken waren, Salzränder auf
unseren T-Shirts. Danach fuhren wir in ein Reichenviertel, in dem sich die Schweizer Schule und der Schweizer Kindergarten befinden. Deutschsprachig sind in Singapur die Schweizer (bis zur sechsten Klasse) und die Deutsche Schule (danach bis zum Abitur). Einblick in die deutsche Community von Singapur, die ich auch in Warschau nicht gemocht habe. Die Kinder sind auch nicht unbedingt die unkompliziertesten. Wir waren dort, weil Jennys Freundin Marion, eine Schweizerin, uns eingeladen hatte, um dort dem vierzigjährigen Schuljubiläum beizuwohnen. Das Programm war sehr niedlich und Kostüme, Dekoration und technischer Aufwand litten nicht an Unterfinanzierung, trotzdem fielen Tine und ich in einen napoleonischen Zehnminutenschlaf. Erfrischt genossen wir um 17 Uhr unser erstes Essen des Tages (kein Appetit, nur Durst), um danach mit dem Bus eine lange Strecke (man sieht ohne Aufwand viel von der Stadt) auf die Orchard Road zu fahren. Die Haupteinkaufsstraße! Unseren Bangkokerinnen macht das aber wenig Spaß, sie kaufen keine Kleidungsstücke mehr, die teurer sind als drei Euro. Jenny zeigte mir ihre Lieblingsgeschäfte (Jenny-Muster, wie auf einer Tapete in den siebziger Jahren, oder wie Pril-Blumen). Ich kaufte eine tolle weiße Hose für 13 €, weil es mir nicht gefällt, daß unter meinem Röckchen der Schweiß an den Beinen runtertropft. Gegen neun begaben wir uns auf die Party. Kein Grund zur Panik! Es war eine Party, bei der man die Leute nur so flüchtig kennt oder kennenlernt und nicht näher kennenlernen will, daß mein kein schlechtes Gewissen hat, nur zu kommen, um den Pool zu benutzen und nach einer knappen Stunde wieder zu gehen. So geschehen! Von den männlichen deutschen Praktikanten (laute biertrinkende Kinder), mein Liebster, will ich keinen geschenkt! Mit Laura lästert es sich auch gut, vor allem über Wirtschaftswissenschaftler. (Anm.:Ich habe nichts Boeses gesagt!!) Wenn Geisteswissenschaftler über BWLer lästern, ist das irgendwie unangebracht, aber mit einer Maschinenbauerin, die richtig was drauf hat -! Zuletzt ging es auf einen (relativ teuren) Foodcourt. Das ist klasse! In einem Kreis sind klitzekleine Essensstände (mit einem Hygienesiegel nach A,B,C eingeordnet - wir gehen nur zu A, davon gibt es sehr viele) um eine bestuhlte und betischte Fläche angeordnet. Eigentlich wollte ich einmal den Kreis abschreiten, aber alle Stände wiederholen sich, und man wird sofort angesprochen, was man haben wolle. Es tut mir dann immer so leid, abzulehnen. Ich aß eine Rinderbrühe zur Hälfte auf, sie war in Ordnung, aber kein Ereignis. Es schwamm das drin, was in Polen Flaki heißt, ich glaube, bei uns heißt das "Kuddeln" - aber bitte korrigiert micht. Im Gegensatz zu mir ist Jenny in Singaur kulinarisch absolut deplaziert. Sie mag kein chinesisches Essen, nichts Scharfes, kein Seafood. Es bleibt ein indisches Knoblauchbrot. Natürlich übertreibe ich und bin ungerecht. Ansonsten ist Jenny toll, unser "Leader". Sie macht das hervorragend. Und hat mir versprochen, in dieser Woche noch einen Duck mit mir zu essen. Die Enten werden hier inklusive Kopf serviert, das stärkt die Bindung zwischen Esser und Gegessenem, finde ich. Seit ich hier schreibe, liegen Tine und Jenny in einer Art tantrisch-orgastischem Trance auf der Matratze und lassen sich von Katrin und Laura die Füße massieren. Katrin ins nämlich nicht nur ein Finanzkopf bei Siemens, sondern auch ausgebildete Thai-Fuß-Masseuse. Ich melde mich gleich für das minimale Kurzprogramm an. Und mich jetzt bei allen lieben Lesern ab. Ich weiß, mein Schatz, das war kein richtiges Zeugma. Du sollst wissen, daß ich immer an Dich denke. Hab keine Angst! Ich komme zurück! Ich komme zurück!


Es geht mir gut (der 3.Tag)
...obwohl ich definitiv nicht danach aussehe.Inzwischen habe ich nicht mehr das Gefühl, zu ersticken, wenn ich einen Raum mit Aircon verlasse. Meine Siemensianer sprechen ein Denglisch, das meinen Goethoniten überhaupt nicht gefallen würde. Sometimes we verfallen in our Saxonian English, aber nur, wenn wir alleine sind.
Heute haben wir in Chinatown Winney-the-Pooh-Flip-Flops, Kiwi-Shakes und Elefantenmusterstoffhandtäschchen gekauft. Weil unsere Bangkoker Mädels fanden, die Singapurer China-Town sähe aus wie von Disney gebaut, fuhren wir danach auf eine künstlich angelegte Insel, eines der Hauptausflugsziele der Singapurianer - dort war es dann wirklich wie bei Disney. Zuerst badeten wir mittelbar im Containerschiffhafenbecken (Wasserqualität prickelnd), um dann ein Strandcafé aufzusuchen, das wir in Deutschland wahrscheinlich unheimlich dekadent gefunden hätten: Das Café del Mar.
Ich war schon zu faul, mich nochmal auszuziehen, aber die Mädels schlürften ihre Cocktails stilecht im caféeigenen Pool.
Paparozzo-mäßig habe ich alles dokumentiert, meine kleinen Sternchen. Auf dem Weg nach Little India kam schon Bedrückung auf, weil der Sonntag und damit unser gemeinsames Wochenende dem Ende entgegengingen. Dem daraufhin aufgesuchten indischen Foodcourt hätte ich die Kategorie A nicht
verliehen, aber "etwas mit den Fingern essen, von dem man nicht weiß, was es ist" (frittiertes Gemüse oder frittierte Hühnerfüße) war ein Ereignis. Das Kontrastprogramm im Anschluß war ein Schweizer Fondueabend bei Jennys lieber Freundin Marion, den wir aber leider schon gegen halb elf verließen, weil Jenny bei "Shrek 2" eingenickt ist. Das will was heißen! Wir haben sie bestimmt sehr geschafft. Morgen nun muß ich alleine los. Bei einem Fruchtshake werde ich in meinem MarcoPolo blättern und meine Besichtigungsreihenfolge festlegen. Vielleicht starte ich mit einem Tag, der der beliebtesten Freizeitbeschäftigung der Einheimischen huldigt: Ich gehe in diverse Shoppingcenter. Ausdrücklich nicht stellen Jenny und ich folgendes volkswirtschaftliches Experiment der Öffentlichkeit zur Verfügung: Im Kampf gegen die Monotisierung der deutschen Innenstädte werden wir die zentral gelegenen Geschäfte einer beliebigen, aber anziehenden Stadt von H&M, Peek&Cloppenburg, Karstadt und MediaMarkt räumen lassen. In die leer werdenden Flächen laden wir etablierte asiatische Einzelhandelsketten ein, zum Beispiel Candy Universe, den leckeren Bäcker, dessen Namen ich mir nicht merken kann, Forever 21 und viele andere mehr. Weil die international agierenden Visionäre der Firmen unsere Idee international visionär finden werden (und weil sie es sich angesichts des Kettencharakters leisten können, an unserem Experiment teilzunnehmen), werden die Preise den deutschen Einkommensverhältnissen nur sehr zurückhaltend angepaßt, außerdem wird die Verschiffung und Verflugung nicht auf den Verbraucherendpreis aufgeschlagen. Jenny übernimmt in unserer Experimentenagentur, die das ganze durchzieht, die Asienabteilung, während ich als Osteuropabeauftragte weitere erfolgreiche Ketten anwerbe. Wir prophezeien: Die gelangweilten deutschen Konsumenten werden unser Konzept annehmen und in unsere ausgewählte Stadt pilgern. Habe ich vergessen zu erwähnen, daß wir natürlich auch von der EU subventioniert werden, weil unsere Idee einen maßgebenden Einfluß auf die Reduktion der Shoppingflugreisen nach Singapur, Bangkok, Dubai und New York haben wird? Ein aktiver Klimaschutzbeitrag also?Wer jetzt hier irgendwelche betriebswirtschaftlichen Haken und Ösen findet, der ist ein visionsloser Pedant und schuld daran, daß Deutschland international zurückfällt!


wenn ihr mehr von Marie lesen wollt, dann schaut auf http://www.mariemaekelt.blogspot.com/ vorbei!
1 comment:
Hmmm, ehrlich gesagt höre(lese) ich lieber deinen erzählungen zu, viel lieber. so eine maschinenbauerin kann nämlich auch schön erzählen :)...
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